Backstage

Die Mensch-Maschine

Ein unsichtbares Zusammenspiel

In Sibylle Bergs Roman "RCE #RemoteCodeExecution" beschließt eine Gruppe Hacker:innen die Welt zu retten. Das Team um Regisseur Kay Voges bringt dies nun auf die Bühne – mit KI, einem dezentralen Netzwerk an Digital Artists und einem durchkomponierten Soundtrack. Die Einführung zur Arbeitsweise und zur Inszenierung von Dramaturgin Sibylle Baschung und Regisseur Kay Voges.

von Sibylle Baschung (Text) und Florian Hofmann (Video) | 23.04.24

© Moritz Haase

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In Sibylle Bergs Roman "RCE #RemoteCodeExecution" beschließt eine Gruppe Hacker:innen die Welt zu retten. Mit der Digitalisierung hat der autokratische Kapitalismus an Fahrt aufgenommen, das Klima ist gekippt und KI macht immer mehr Menschen überflüssig. Es braucht dringend einen Neustart. Dafür bringen die Hacker:innen unsere durchdigitalisierte Lebenswelt erst einmal zum Einsturz – und zwar mit eben jenen Werkzeugen, welche die Wunderwelt Cyberspace zu bieten hat.

Soweit die Idee.

Mit KI-Programmen wird nun also Propaganda hergestellt, die mit einem Mix aus Aufklärung und Fake-News den Menschen noch mehr Angst macht, als sie eh schon haben. Wie soll man sonst die Massen mobilisieren und auf die Straße bringen? Gestützt durch entsprechende Algorithmen auf Social Media-Plattformen verbreitet sich die Propaganda in Windeseile. Mit einer eigens programmierten RCE-Chat-App werden die revolutionären Kräfte überwachungssicher vernetzt. Finanziert wird das Ganze durch Bankenhacks und Börsenmanipulationen. Gesichtserkennungssoftware kommt zum Einsatz beim Aufspüren und Ausschalten von gewaltbereiten Faschisten und sonstigen Menschenhassern. Lieferketten werden unterbrochen, Waffentransporte umgeleitet in stillgelegte Bahnhöfe und vieles mehr. Am Ende stürmen die Menschen die Banken, weil sie ihr Bargeld sehen wollen, und tragen in einer Art „Choreografie der wiederbelebten Massen“ korrupte Politiker und Großkapitalisten aus ihren Gebäuden.

Friedlich soll sie sein, diese Revolution, und tanzen sollte man dazu können. Ein aufregendes Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine, um einen Neustart herbeizuführen – bevor sich die letzte Sicherheitslücke schließt.

Soweit der Plan. 

Und die Umsetzung?

 

Wer – oder was – könnte diesen komplexen Roman, der eher eine Anleitung zur Revolution ist als eine Geschichte, deren Held:innen man folgen kann, im Theater erzählen? Regisseur Kay Voges hat das Ensemble und sein künstlerisches Team um ein elfköpfiges Netzwerk von Digital Artists zwischen Rom und Hamburg erweitert. Gemeinsam hat man begonnen, mit Künstlicher Intelligenz zu spielen. Herausgekommen ist eine Art Mensch-Maschine, deren Zusammenspiel ähnlich unsichtbar im Hintergrund abläuft, wie dasjenige Zusammenwirken von Mensch und Technik, was in Sibylle Bergs Roman nichts geringeres auslöst als eine Weltrevolution.

Die Textfassung, die sich in der Hauptsache auf den Revolutions-Plan der Hacker:innen und dessen Durchführung konzentriert, wurde zunächst durch eine Text-to-Speech-AI gezogen. Zu dieser so entstandenen Tonspur hat der Musiker Tommy Finke einen Soundtrack – ohne Unterstützung von KI – komponiert. Entstanden ist ein Hörspiel, dessen Timeline am Ende wie eine Art Dirigat für das synchrone Zusammenspiel von Sprache und Bewegung der Schauspieler:innen, projizierter Textspur, Musik, Licht und Video-Art sorgt. 

Die Proben bestanden darin, zeitgleich mit allen Künstler:innen auf, vor und hinter der Bühne ausgehend von der Timeline einen gemeinsamen Rhythmus zu finden und die Timeline wiederum entsprechend anzupassen, falls nötig. Die elf Video-Künstler haben Kurzfilme gedreht, Animationen hergestellt und mit verschiedenen KI-Programmen Bewegtbilder aus Text, Sprache, Musik, Bildern und Videos generiert, teilweise auch mehrere Programme miteinander kombiniert.  

Bei der Filmemacherin und Cutterin Andrea Schumacher landete dann erstmal alles, was die Digital-Nerds kreiert hatten. Anschließend wurde in nächtelangen Sessions das Material begutachtet, ausprobiert, kombiniert und mit Anmerkungen wieder zurückgeschickt. Währenddessen probten die Schauspieler:innen gemeinsam mit dem Regisseur, wie mit man mit der KI-Stimme die Mensch-Maschine zum pulsieren bringt. Über In-Ear-Kopfhörer hören die Schauspieler:innen während der ganzen Inszenierung den Text, gesprochen von der KI-erzeugten Computerstimme, sprechen diese zeitgleich mit oder variieren den Tonfall, versehen den Text mit Haltung, Emotion oder bleiben bewusst bei der Kälte der KI-erzeugten Stimme und ihren falschen Betonungen. Auch hier wurde im Probenprozess ausprobiert, gespielt und die Timeline entsprechend angepasst.

Die so entstandene Komposition ist im Ergebnis ein präzises Zusammenspiel von digitalisiertem Bild- und Tonmaterial mit den analogen Stimmen und Bewegungen der Schauspieler:innen, das die Erzählung solange zum erfolgreichen revolutionären Ende bringt, wie der Strom nicht ausfällt oder die Codes nicht gehackt werden.

Eine Fantasie von Mensch und Maschine.  

Inspiriert von Sibylle Bergs Idee eines Bauplans für die Weltrevolution. 

© Moritz Haase

Audioeinführung

Erfahren Sie mehr zum Roman, der Inszenierung und Ihrer Entstehung, sowie die KI-Technik, die Kay Voges und sein Team genutzt haben in der Audioeinführung von Produktionsdramaturgin Sibylle Baschung und Digitalredakteur Florian Hofmann.

 

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